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Laufen x Abnehmen: Das gefährliche «Warum»

Aktualisiert: 11. Sept. 2023


Einleitung


An einem warmen, sonnigen Tag verbrachte ich meine Mittagspause an der Limmat in Zürich Altstetten. In dieser kurzen Zeitspanne sah ich mehr Läufer:innen als an meinem aktuellen Wohnort in einem Jahr zusammen. Was bewegt all diese Leute dazu, die Laufschuhe zu schnüren und einen Teil ihrer Mittagspause für das Laufen hinzugeben?


Das Wetter geniessen und Vitamin D tanken, eine Verschnaufpause vom stressigen Arbeitstag einlegen, trainieren für einen bestimmten Lauf oder ein bestimmtes Ziel. Es gibt unterschiedlichste Motivationen. Jede davon hat ihre Berechtigung – oder etwa nicht? Denn sie bringt diese Menschen dazu, sich zu bewegen. Tägliche Bewegung ist eminent wichtig für uns, um gesund zu bleiben, sowohl körperlich als auch psychisch. Einer der beliebtesten Antriebe zu laufen, ist unumstritten das Abnehmen. Klar, je mehr Bewegung, desto mehr Kalorien verbrennen wir, umso leichter nehmen wir ab.


Auf den sozialen Medien werde ich täglich mit Erfolgsgeschichten, sogenannten «Transformations» konfrontiert. Dabei wird eine übergewichtige Person gezeigt, welche innerhalb von wenigen Monaten durch den Laufsport eine unglaubliche Entwicklung macht. Laufen scheint in Bezug auf das Abnehmen zu schnellen Erfolgen zu führen. Aber ist es auch nachhaltig?


Es ist mir wichtig, dieses Thema ausführlich zu behandeln und von verschiedenen Seiten zu beleuchten. Ich möchte aufzeigen, warum das «warum» abnehmen für mich nicht zum Laufsport passt.


Die Basics: der Kalorienverbrauch


Je nach Gewicht, Grösse, Intensität und vielen weiteren Faktoren, verbrennt ein:e Läufer:in zwischen 600 bis 1200 kcal pro Stunde. Mehr Kalorien verbrennen wir nur bei intensivem Schwimmen oder Langlaufen. Laufen ist folglich eine äusserst effektive und vor allem besonders zugängliche Methode, viele Kalorien zu verbrennen. Es ist möglich, rund die Hälfte des täglichen Kalorienbedarfs in unter einer Stunde zu verbrennen und damit ein riesiges Kaloriendefizit zu generieren. Wird dieses im Anschluss nicht aufgefüllt, nehmen wir ab. Denn die goldene Regel lautet:


Kalorienbilanz = Kalorienzufuhr - Kalorienverbrauch


Sprich: Wenn wir mehr Kalorien verbrauchen, als wir dem Körper zuführen, nehmen wir ab.




Muskeln anstatt Fett


Diese Gleichung kann durch das Laufen «aufgebessert» werden, wodurch wir schneller abnehmen. Um ein Kilogramm Fett zu verlieren (7000 kcal), bräuchte es, mit einem zusätzlich vergrösserten Defizit von 700 kcal, gerade einmal 10 Tage. Das Problem: Unser Körper wird dieses Kaloriendefizit schnell registrieren. Die logische Folge davon ist, dass wir mehr Hunger verspüren und automatisch mehr essen. Wenn wir uns bewusst darauf achten, nicht mehr zu essen als sonst, sind wir mit dem richtigen Mindset in der Lage, diesen Umstand für eine gewisse Zeit zu ignorieren.


Das viel grössere Problem ist jedoch, dass der Körper bei einem zu grossen Kaloriendefizit in den Alarmmodus schaltet. Das heisst, dass er nicht auf die Fettreserven zurückgreift, sondern Muskeln abbaut, um schneller an Energie zu gelangen. Entsprechend sind hohe Kaloriendefizite zwar kurzfristig erfolgsversprechend, da wir schnell Ergebnisse sehen werden. Allerdings ist es nicht zielführend, weil wir vor allem an Muskelmasse verlieren. Um langfristig Fett zu verlieren, ist ein Kaloriendefizit von 200-300 kcal pro Tag sinnvoll. Damit kann sowohl unser Körper als auch unsere Psyche besser umgehen. Darüber hinaus kann ein solches Defizit ohne Weiteres im Verlauf des Tages eingespart werden. So z.B. reicht es schon aus, zwei «Guetzli» weniger zu essen. Oder wer darauf nicht verzichten möchte, isst zwei – drei Löffel weniger am Mittagstisch. Auch das Weglassen von Süssgetränken oder Alkohol hat grossen Einfluss auf die Kalorienbilanz haben.


Laufen oder allgemein zusätzliche Bewegung kann zweifellos helfen, das Kaloriendefizit zu erarbeiten, ohne auf die gewohnte Ernährung verzichten zu müssen. Gefährlich ist, dass das Defizit summa summarum zu hoch ausfällt und unser Körper gar Muskeln abbaut, um so schnell wie möglich an Energie zu gelangen. Nebstdem passiert es oft, dass wir das hart erarbeitete Manko durch den erhöhten Hunger geradewegs wieder ausgleichen oder gar überkompensieren (Jo-Jo-Effekt).




Laufen x Fasten


Als ambitionierter Läufer achte ich auf meine Ernährung. Nach dem Training fülle ich meine Energiespeicher möglichst rasch wieder auf und lege ein besonderes Augenmerk darauf, was ich zu mir nehme. Um meine Glykogenspeicher wieder zu füllen, braucht mein Körper primär Kohlenhydrate. Am Morgen esse ich meistens mit Wasser aufgekochte Haferflocken, Reiswaffeln, getrocknete Bananen o.ä. Am Mittag oder Abend zählen für mich unter anderem Teigwaren, Kartoffeln oder Reis zu den geeigneten Kohlenhydratlieferanten. Nebst einer Kohlenhydratquelle esse ich oft Magerquark mit geraffeltem Apfel und zusätzlichem Proteinpulver, damit entstandene Mikroverletzungen durch die Zufuhr von Aminosäuren (Bausteine der Proteine) bestmöglich wiederhergestellt werden können. Zudem trinke ich mindestens ein Liter Wasser mit Elektrolyten und nehme eine nahrungsergänzende Tablette mit Kalzium, Magnesium und Vitaminen ein. Zumindest ernährungstechnisch gebe ich meinem Körper so die Chance, sich optimal zu erholen und für die nächste Belastung wieder bereit zu sein.


Mit einem Umfang von 7-8 Läufen und 3-4 Krafttrainings pro Woche ist dies eminent wichtig, um langfristig Verletzungen vorzubeugen und vital zu bleiben. Ich merke einen deutlichen Delay der Erholungszeit, wenn ich meinem Körper nicht die nötigen Nährstoffe liefere. Zudem habe ich schon beobachtet, dass vermehrt Muskelverspannungen und Krämpfe auftreten.


Als Hobbyläufer ist das grundlegende Ziel meistens nicht, sich so bald als möglich wieder bereit für die nächste Belastung zu fühlen. Vielmehr geht es um den Spass oder eben ums Kalorien verbrennen, ums Abnehmen. Das erarbeitete Kaloriendefizit soll möglichst aufrechterhalten werden. Wie bereits im ersten Abschnitt erwähnt, macht ein grosses Defizit keinen Sinn. Nebst den erwähnten Aspekten kommt dazu, dass bei jeder Art von intensiver körperlicher Anstrengung in unseren Muskeln, Bändern, Sehnen, Knorpeln, usw. kleine Risse oder Schäden entstehen, die mithilfe von Nahrungsbausteinen wieder repariert werden. Fehlen diese, braucht der Körper länger Zeit, sich zu erholen und kann nicht den Benefit aus dem Training ziehen, den wir uns gewünscht hätten.


Es kann allerdings auch sein, dass ein kurzfristig bestehender Kalorienüberschuss abgebaut werden soll, wie beispielsweise nach den Weihnachtstagen. In diesem Fall entsteht kein oder nur ein geringes Defizit und der Körper hat noch genügend Reserve, um die entstandenen Schäden aufzufüllen. Die Verpflegung nach dem Training ganz wegzulassen und quasi zu fasten, ist aus meiner Sicht trotzdem nicht die richtige Lösung. Zumindest sollte der Elektrolythaushalt geregelt werden, da durch den Schweissverlust wichtige Mineralstoffe verloren gehen. Auch eine Proteinquelle, wie z.B. ein Proteinshake mit Wasser, ist nicht verkehrt.


Laufen und Fasten ist in beiden beschriebenen Fällen nicht clever. Unser Körper sollte genügend Bausteine haben, um sich nach der Anstrengung vollständig regenerieren zu können. Soll ein deutlicher Kalorienüberschuss abgebaut werden, braucht es sicherlich weniger Verpflegung im Nachhinein. Die Hydrierung und Mineralstoffzufuhr soll dagegen in jedem Fall geregelt werden.




Laufen x Ãœbergewicht


Nicht selten steigen Laufanfänger:innen mit einigen Kilos zu viel auf den Rippen zum ersten Mal in ihre Laufschuhe. Vorneweg: Ich finde es bewundernswert, wenn Leute, die sich in ihrem Körper nicht (mehr) wohlfühlen, den Mut finden, etwas zu ändern und die Sache angehen. Trotzdem zeige ich in diesem Abschnitt auf, warum Laufen in der Regel nicht die beste Sportart ist, um die Kilos purzeln zu lassen.


Nenne mir eine Ausdauer Einzelsportart, in der so hohe Kräfte wirken, wie im Laufsport. Bei jedem Schritt lastet je nach Tempo, Gewicht und Art des Schuhs das drei- bis fünffache Körpergewicht auf einer Körperachse. Je mehr eine Person wiegt, desto höher ist der Impact, der sich auf den Bewegungsapparat auswirkt.

Hinzu kommt, dass Laufanfänger:innen oftmals nicht den perfekten Laufstil haben oder sich nicht darauf achten. Das Atmen und Vermeiden von Seitenstechen wird in den Anfängen höher gewichtet, wodurch wir dem Bewegungsablauf weniger Beachtung schenken. So können innert kürzester Zeit Schäden am Bewegungsapparat entstehen. Vor allem Hüfte, Knie und Fussgelenke sowie Überbelastungen der Bänder sind prädestinierte Problemzonen.

Auch die Schuhwahl ist nicht ausser Acht zu lassen. Je nach Bein- und Fussstellung brauchen wir Unterstützung vom Schuh, damit z.B. bei einer Pronation (Innenrotation) die Knie- und Fussgelenke nicht einknicken. Leider setzen wenige Laufeinsteiger von Anfang an auf eine kompetente Beratung mit Laufbandanalyse, die die genannten Probleme erkennt und entsprechend das geeignete Produkt empfiehlt.


Wir stellen fest: der Einstieg in den Laufsport wird immer wieder unterschätzt.

Empfehlenswert ist es daher, sich frühzeitig bei der Schuhwahl beraten zu lassen und vor allem langsam ins Lauftraining einzusteigen. Alternierendes Gehen und Laufen, wobei der Laufanteil immer mehr erhöht wird, kann eine mögliche Taktik sein, wie unser Körper nach und nach an die Belastung gewöhnt werden kann.




Der moralische Aspekt


Unter uns gesagt, fühle ich mich jedes Mal beleidigt, wenn ich vernehme, dass mein Laufsport für das Abnehmen missbraucht wird. Wenn ich ehrlich bin, habe ich jedoch selbst schon Läufe oder andere Trainingseinheiten gemacht, mit dem einzigen Ziel, einen unsinnig generierten Kalorienüberschuss zu verringern. Ich habe diese in miserabler Erinnerung, da das Laufen mit schwerem Bauch und ständigem Aufstossen von Anfang bis Schluss ein einziger Kampf war. Zudem fühlte es sich wie eine Bestrafung für den kalorischen Ausrutscher an.

Ich bin dankbar, dass ich von diesem gefährlichen Denkmuster bereits früh weggekommen bin und es bei einzelnen solchen Einheiten geblieben ist.


Laufsport ist doch viel mehr als nur ein Freipass zum Schlemmen!


Für mich ist das Laufen ein Ausgleich, eine Konstante im Tag, ein langfristiges Ziel, an dem ich jeden Tag arbeiten kann. Sobald ich mich eingewärmt habe, bin ich in einer anderen Welt. Alles was jetzt zählt, ist die Bewegung, der Puls, die Pace. Bei lockeren Trainingseinheiten (rund 60-80% des Trainingsvolumens) geniesse ich die Natur, den Regen, die Sonne, den Schnee. Tiere laufen mir über den Weg oder leuchten mir aus der Ferne mit ihren Augen aus der Dunkelheit entgegen. Es hilft mir, den Tag hinter mir zu lassen und auf andere Gedanken zu kommen.

Steht eine harte Trainingseinheit an, lege ich meinen ganzen Fokus darauf. Nichts mehr von Natur geniessen. Alles geben, die gesetzte Pace erreichen. Nach der Trainingseinheit bin ich glücklich, dass ich es erneut geschafft habe, alles aus mir herauszuholen. Die einsetzende körperliche und mentale Müdigkeit, gepaart mit diesem Gefühl von Zufriedenheit, ist unbeschreiblich. Genau dieses Zusammenspiel zwischen Erholung und Belastung, Geniessen und Quälen, Entdecken und Tunnelblick, macht diesen Sport so attraktiv und abwechslungsreich.


Es ist mir klar, dass nicht jede:r ein solches Commitment zum Laufsport machen will oder kann. Als Hobbyläufer:in sollte die «Erholungs- und Geniesserseite» klar überwiegen. Und doch machen viele Laufeinsteiger:innen häufig den Fehler, zu intensiv zu laufen. Dadurch geraten sie bei jedem Lauf an ihre Grenzen, was der «Quälseite» entspricht. Diese Dysbalance ist einer der Gründe, weshalb viele schon nach wenigen Wochen den Bettel hinschmeissen (müssen), weil sie zu erschöpft sind oder verständlicherweise keine Motivation für solche Tunnelblick-Einheiten mehr aufbringen können.




Fazit


Für eine erfolgreiche und nachhaltige Gewichtsreduktion ist in erster Linie die goldene Regel der Kalorienbilanz ausschlaggebend. Um diese positiv zu beeinflussen, sollte als erste Priorität die Ernährung angepasst werden. Zusätzliche Bewegung kann zwar helfen, ein Kaloriendefizit zu erarbeiten, sollte jedoch nicht der einzige Antrieb sein. Um langfristig erfolgreich zu sein, darf das Kaloriendefizit am Ende des Tages zudem nicht zu hoch ausfallen, um einen Rückschlag (Jo-Jo-Effekt) oder gar Muskelabbau zu verhindern.


Wie in der Einleitung erwähnt, hat jede:r sein eigenes «Warum», zu laufen. Ich hoffe, dass ich mit diesem Beitrag aufzeigen konnte, weshalb «Abnehmen» nicht das richtige «Warum» ist, Laufsport zu betreiben. Zu oft wird nebst der richtigen Ernährung auch der Impact auf unseren Bewegungsapparat unterschätzt. Nichtsdestotrotz bin ich überzeugt, dass Laufen in der richtigen Dosierung und Intensität, der nötigen Geduld und dem richtigen Schuhwerk für alle Enthusiast:innen zugänglich ist.


Meine Mittagspause am Ufer der Limmat veranschaulicht dies eindrücklich. Völlig egal, auf welchem Niveau wir uns befinden und welche Motivation wir zum Laufen finden, welches «warum» wir in uns tragen, schliesslich geht es doch darum, Spass zu haben.


Disclaimer: Der folgende Blog soll in erster Linie meine Eindrücke und meine Wahrnehmung in Bezug auf dieses Thema darstellen.

Nicht an der Limmat, aber in der Nähe der Aare (;


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