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Ein Jahr im Engadin: "Ün dür inviern"

Vor den langen und kalten Wintern im Engadin wurde ich immer wieder gewarnt. Trotzdem war ich im November überglücklich als der erste Schnee lag und rechtzeitig zum 1. Dezember das erste Schneechaos ausbrach. Seit da hatte es den ganzen Winter immer genug weisse Pracht, um meine Langlaufgelüste zu stillen. Selbst im März, pünktlich zum Engadiner Skimarathon 2024 hatte es noch so viel Schnee wie seit langem nicht mehr.


Unterländer auf zwei Brettern

Im November pendelte ich jeweils für ein, zwei Mal pro Woche nach St. Moritz, wo die berühmt berüchtigte Nachtloipe bereits mithilfe von Snowfarming präpariert war. Ich stellte ziemlich schnell Fortschritte fest, Stürze gehörten jedoch zu jedem Training dazu. Anfang Dezember öffneten beinahe alle Loipen auf einen Schlag rund um Samedan dank eines gehörigen Wurfs von 50cm. Somit konnte ich jederzeit auf die Loipe und investierte 7-10h pro Woche in das Training auf den dünnen Latten. Ein erstes Mal wagte ich mich Ende Dezember auch auf die klassischen Skis. Ungestört, in Pontresina auf der Nachtloipe, machte ich meine ersten Vesuche. Gar nicht so einfach - doch nach zwei, drei Trainings kam ich immer besser in Fahrt und erfreute mich am diagonalen Schritt. Zeitweise lief ich sogar lieber auf den langen, schweren Skiern mit den kurzen Stöcken, als auf den Skating-Skiern. Allerdings verkraftete mein Läuferoberkörper das Doppelstock-Stossen über z.T. mehr als 20km am Stück nicht so gut - wer hätte es gedacht. Also wechselte ich wieder vermehrt aufs Skating, gerade im Hinblick auf den Surselva Marathon, das Rennen von Maloja nach Zernez und den Engadiner Skimarathon.


Ersteren ging ich bei besten Bedingungen an. Es strahlte die Sonne und liess den Schnee glitzern. Nur leider kommt die Sonne Ende Januar nicht ganz an alle Teile dieser Strecke. Entsprechend erinnerte die Loipe eher an eine Bobbahn. Darauf war meine verwöhnte Engadiner-Lauftechnik natürlich nicht vorbereitet. Einziges Ziel war, nicht umzufallen und mir womöglich noch eine Verletzung einzufangen. Schliesslich kam ich etwas entmutigt ins Ziel. Irgendwie fühlte ich mich trotz ganz akzeptablen Trainingsleistungen wie ein Exot im Langlaufzirkus und stellte ein erstes Mal fest, dass Langlaufen nicht nur vom Motor abhängt sondern auch von den Bauteilen rund herum.


Vor dem Engadiner Skimarathon findet das kleinere, familiärere Rennen Maloja-Zernez über 56km statt. Leider wurde aufgrund der gefallenen Schneemassen auf Sils-Zernez verkürzt. Am Wettkampftag fiel Schnee in rauen Mengen und bedeckte die Loipe mit 15cm Schnee. Ein hartes Rennen, bei welchem ich mich bei diesen schwierigen Bedingungen hauptsächlich ins Ziel retten wollte, konnte ich gut wegstecken.


Irgendwie wollte es nicht so recht mit den Langlaufwettkämpfen. Denn auch am Engadiner Skimarathon wurden Schneemassen in jeder Menge vorausgesagt. So kam es auch - zeitgleich zum Startschuss öffnete auch Frau Holle ihre Schleusen. Diesmal kam ich auf der doch schon gezeichneten Ideallinie besser zurecht. Zuzuschreiben ist dies auch mehreren Trainings in ähnlichen Bedingungen und einer guten Technik-Tagesform, wie ich es nenne. Das Rennen war für mich geprägt von Ausritten in den Tiefschnee, um mich mehr und mehr nach vorne zu kämpfen. Dies kostete Mal für Mal Kraft und bedeutete zugleich das Risiko, dass ich irgendwo einhängen könnte oder mir die Puste ausgeht. Die Schneeflocken, welche auf meiner schnellen Brille verharrten, trübten meine Sicht. Zum Glück kannte ich jeden Meter dieser Strecke in und auswendig von den vielen Trainingskilometern im Oberengadin. Schliesslich überholte ich rund 600-800 Läufer:innen und wurde 520. von rund 9’000 gemeldeten Athlet:innen. Dies dürfte mir immerhin einen besseren Startplatz für nächstes Jahr garantieren, auch wenn ich in einer guten Gruppe viel schneller hätte laufen können.


So schön das Langlaufen ist, einige Dinge stören mich vor allem im Wettkampfformat. Während es im Training eine wunderbare Alternative zum Lauftraining ist, kann ich mir nicht vorstellen jemals wettkampfmässig im Langlaufsport anzutreten. Vom Laufsport sind wir uns gewöhnt, dass der oder die schnellste mit dem besten Motor gewinnt. Beim Langlaufen kommt es nebst dem Motor vor allem auch auf die Technik an, welche wiederum mit viel Erfahrung heranreift, gerade bei oben geschilderten Bedingungen. Die Technik ist wie die Ausdauer etwas, was man sich erarbeitet - fair. Unverständlich ist für mich die Wachsproblematik. Je mehr Geld eine Nation, ein Team oder eine Einzelperson investiert, desto besser ist der Ski, desto schneller ist die laufende Person. Gerade auf höchstem Niveau im Weltcup verfälscht dies meiner Meinung nach das Bild und tut diesen Nationen unrecht, welche gute Athlet:innen hätten, jedoch nicht den richtigen Ski zur Verfügung stellen können. Frage an alle Langläufer:innen: Warum nicht Einheitswachs?


Trotz diesen Erfahrungen habe ich die Zeit auf den Skiern so sehr genossen, dass ich mir kaum vorstellen kann, nächsten Winter nicht mehr vor der Haustür in die Bindung steigen zu können. Es wird definitiv nicht mehr möglich sein, so viel Zeit zu investieren. Doch würde ich gerne nochmals am Engadiner teilnehmen und zuvor zumindest ein, zwei Wochen auf den Langlaufskiern trainieren. Welche Platzierung ist als Exot auf den dünnen Laden möglich?



Laufen kann ich immer noch!

Und wie schlug ich mich eigentlich beim Laufen?

Pro Woche lief ich ca. 30-50km teilweise auf dem Laufband und die eher lockeren Läufe auf den schneebedeckten Winterwanderwegen. An kalten Tagen fühlte sich die Schneeunterlage ähnlich an wie Asphalt, der Nachteil war hingegen die kalte Luft, welche das Arbeiten der Lunge sehr ineffizient macht. Deswegen zog ich an solchen Tagen eine Atemschutzmaske an. Diese verwandelt zwar klirrend kalte Luft in angenehme 10 Grad Celsius, lässt jedoch zu wenig Luft durch, dass man Intervalle laufen könnte.


Tests vor der SM in Oberriet über 21km haben gezeigt, dass die Form im Bereich meiner PB liegen würde. Mit grossen Hoffnungen ging ich das Rennen im Rheintal trotzdem nicht an. Viel mehr freute ich mich auf die Neuauflage der SM im Jahr 2022. Die "Wettkampfangst" scheint wie weggeblasen. Meinem Ziel, mein Glück mehr und mehr von meiner Leistung unabhängig zu machen, komme ich immer näher.

Natürlich bin ich in den 24h vorher mehr auf Draht, aber die Freude darüber, bald die Rakete zu zünden, überwiegt im Vergleich zur Nervosität. Zudem ist eine gesunde Nervosität wichtig, um am Leistungsoptimum zu sein. In meinem AirBnB in Altstätten eingecheckt, fragte ich mich, weshalb von meinen Zimmernachbarn, welche ebenfalls AirBnB-Gäste waren, an einem Samstagabend schon vor 21:00 Uhr nichts mehr zu hören war. Am nächsten Tag stellte sich heraus, dass Oria ebenfalls an der SM teilnehmen wird und grosse Ambitionen auf den Titel mitbringt - was für ein Zufall!

Zusammen fuhren wir also zum Startort, nachdem ich am frühen Morgen bereits einen kurzen Leg Teaser von 2km gemacht habe. Mein guter Eindruck von den Beinen bestätigte sich beim Einwärmen und spätestens im Rennen. 3:35/km waren angesagt, 3:28/km wurden es, Differenz 7s/km. Während dem Rennen ging mir unser Schlachtplan durch den Kopf und ich wusste sogleich, dass ich diese Pace jetzt durchziehen muss, ansonsten hätte mein Coach, Beni, wohl nicht viele rühmende Worte für mich übrig gehabt. Zusammen mit Jonas, mittlerweile ein guter Laufkollege, wechselte ich mich beim führen ab und kamen beide mit neuer PB ins Ziel! 1:13:13 ist deutlich mehr als ich mir erhofft habe. Klar lebe ich im Engadin und meine Hämoglobin-Werte dürften auch als Slow-Responder in die Höhe geschossen sein. Trotzdem habe ich kaum Tempotrainings draussen laufen können und höchstens drei bis vier Mal pro Woche die Laufschuhe geschnürt.

Lange Rede kurzer Sinn: Langlaufen und entsprechend viel Grundlagentraining bringt mich weiter, auch wenn die Laufkilometer fehlen. Diese Erkenntnis nehme ich mit in das weitere Sportjahr 2024.



Polysportives 2024

Das Jahr 2024 soll ein polysportives Jahr werden. Da ich vor meinem Studienbeginn im September als Zivi doch mehr Zeit habe, möchte ich mehr Zeit ins Rennradfahren und Traillaufen investieren. Dies soll eine gute Grundlage sein für die kommende Saison 2024/2025 in der ich, zumindest im Herbst und über den Winter wieder voll aufs Laufen setzen möchte. Im Herbst diesen Jahres sind Halbmarathons geplant, bei denen ich meine soeben aufgestellte PB angreifen will.



Rennrad

Liebevoll benannt habe ich mein neues Orbea Orca. Coldia hat eine dreifache Bedeutung für mich. Col weisst darauf hin, dass ich es liebe, die Cols der Schweiz und allgemein im Alpenraum zu bezwingen. Im Sommer ist eine grosse, mehrtägige Tour mit über 20’000 Höhenmetern über alle bedeutenden Alpenpässe geplant.

Im Namen steckt auch cold, was auf meine bevorzugte Farbpalette hindeutet und welche auch den Rahmen des Coldia ziert. Nicht zuletzt heisst für mich col dia, eigentlich dio, dass ich alles was ich tue, mit Gott und für Gott mache. Auf meinen Wegen möchte ich auf ihn vertrauen.

Auf dem Coldia möchte ich diesen Sommer viel Zeit verbringen und Ende August den Ultrafondo der Tour des Stations über 250km und 8’848 Höhenmeter in Angriff nehmen.



Arbeit und Zukunft

Vieles in meinem Leben ist durchgeplant. Eigentlich mag ich, wenn auch meine zukünftige Arbeit in trockenen Tüchern ist. Laufend habe ich mich auf verschiedene Stellen in der Sportwelt beworben. Bei fast allen Bewerbungen wusste ich, dass die Chance, dass sich jemand mit besseren Qualifikationen bewirbt, gross ist. So kam es auch - bis auf zwei Ausnahmen, die ich nach weiteren Gesprächen ausgeschlagen habe. Mein Traum ist es, mich in einem Job während dem Studium einzuleben, der mir Spass macht und mit Sport in Verbindung steht. Er soll mich nicht zu sehr herausfordern, damit ich mich sowohl auf das Studium, als auch auf den Sport, sowie mein soziales Leben konzentrieren kann. Mein Plan B war es immer, weiterhin im Engadin zu leben und als Pflegehelfer zu dienen. Dies tönt jetzt so, als wäre die Arbeit im Alters- und Pflegeheim ein Müssen. Das Gegenteil ist der Fall. Die Leute, das Team und die Arbeit sind mir ans Herz gewachsen. Und doch spüre ich, dass ich nach dem Zivildienst gerne einen neuen Lebensabschnitt beginnen würde. Auf der anderen Seite schwingt jetzt schon das Fernweh nach Schnee, Langlaufen und hohen Bergen mit. Auch die Bewohner:Innen des Pflegeheims wurden während den letzten Monaten zu einem Bestandteil meines Lebensabschnitts und umgekehrt. Nun ja, eines ist im Moment sicher. An meinem Plan, das Studium Sportmanagement zu absolvieren halte ich fest, wo auch immer ich arbeiten und wohnen werde.



Auf jeden Fall freue ich mich auf die Challenges, die ich im 2024 angreifen darf. Dazu gehören sportlich gesehen allem voran der Ultrafondo über 250km mit 8‘848 Höhenmetern im Wallis, diverse Trailrunning - und Runningevents und hoffentlich ganz viel Training in unseren wunderschönen Bergen.





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